Tokio setzt auf Wissen aus der Jadestadt

Bericht: Wilhelmshavener Zeitung – Jochen Schrievers

WASSERSPORT – Naturfreunde als Vorbild für inklusives Projekt in Japan – Austausch am Banter See

Heinz Ehlers wusste nicht so recht, was er von der E-Mail halten sollte, die ihn gerade erreicht hatte. Was will die Präfekturverwaltung Tokio von ihm? „Ich dachte, das sei Fake“, erklärt er. Doch sein Interesse war geweckt, schließlich ging es um ein Thema, das ihm sehr am Herzen liegt: Inklusion im Wassersport.

Also hat er doch geantwortet, und die Lage klärte sich schnell auf. Die japanische Hauptstadt will den Freizeitsport fördern und setzt dabei auch auf Inklusion. Daher wurde eine Firma beauftragt, in Japan und weltweit nach Beispielen und Projekten zu suchen, die als Vorbild dienen können.

Aber eine Frage blieb: Warum ausgerechnet die Naturfreunde Wilhelmshaven? Bei ihrer Recherche haben die Japaner festgestellt, dass es in der Jadestadt genau das gibt, was sie suchen. Mit ihrem Projekt am Banter See haben die Naturfreunde es geschafft, inklusives Ausbildungszentrum des Deutschen Kanu-Verbands zu werden. Zudem hat Ehlers mit der „Inklusionsfibel Paddelsport“ ein Buch herausgebracht, das das Interesse der Japaner noch einmal gesteigert hat.

Wilhelmshaven ist das ideale Vorbild

Schnell machte Makoto Takiguchi, Projektmanager der von der Präfektur beauftragten Firma, deutlich, dass es nur eine Lösung gibt: Es muss jemand nach Wilhelmshaven kommen und sich das Ganze vor Ort ansehen. Am Samstag war es dann soweit. Izumi Mazur besuchte das Bootshaus der Naturfreunde. Mit einem langen Fragenkatalog im Gepäck reiste sie an.

„Stellen sie sich vor, dass wir in Japan noch gar nichts haben“, sagte sie zu Beginn. Aber der Wille ist da. Auch an der Bereitschaft, Geld zu investieren, fehlt es nicht. Aber es gibt weder Infrastruktur noch das nötige Wissen. Auch die Art der Fragen zeigte, dass die Japaner aktuell nicht wissen, wo sie ansetzen sollen. Doch da halfen Ehlers und Naturfreunde-Chef Marc Meierholz schnell aus.

Bei der Inklusion gehe es darum, Barrieren abzubauen oder zumindest so zu verschieben, dass Wassersport möglich ist. Der Fokus müsse immer auf dem jeweiligen Sportler liegen, jeder habe andere Bedürfnisse. Und: Es gibt zwar Hilfsmittel, aber keine generellen Lösungen.

Fotosafari rund ums Naturfreundehaus

Aals es nach draußen ging, war Izumi Mazur hin und weg. Angefangen beim Steg, der auch für Rollstuhlfahrer zugänglich ist, über die Einstiegshilfe, die Ehlers entwickelt hat, bis zu Haltehilfen für Paddel gab es vieles zu sehen. Ehlers hat in den vergangenen Jahren getüftelt, ausprobiert, verbessert und angepasst. Eifrig machte Izumi Mazur Fotos, um ihren Auftraggebern in Japan einen möglichst guten Eindruck zu vermitteln, was es alles gibt.

Und es muss nicht immer kompliziert sein. Manchmal reichen schon Schaumstoffkeile, um im Boot für die nötige Stabilität und Sicherheit zu sorgen. „Und die steht immer ganz oben“, sagte Ehlers. Denn wenn auf dem Wasser etwas schiefgeht, landen die Sportler nicht auf dem Boden, sondern laufen Gefahr, zu ertrinken.

Entsprechend müssen Schwimmwesten genau ausgewählt werden und jegliche Hilfsmittel müssen sich sofort lösen, damit sie im Falle eines Falles den Sportler nicht behindern. Als Beispiel führte Ehlers eine Haltehilfe für Paddel an. Die erste Version ist zerbrochen, die zweite liegt irgendwo auf dem Grund des Banter Sees. Die dritte Variante ist jetzt stabil genug und mit einer kleinen Boje versehen, so dass sie auf dem Wasser treiben kann.

Suche nach dem „japanischen Heinz“

Mehr als ein erster Eindruck kann der Besuch bei den Naturfreunden aber nicht gewesen sein. Zwar lassen sich technische Hilfen nachbauen, Ideen übernehmen und auch Infrastruktur kann gebaut werden. Doch was es wirklich braucht, sind Menschen, die sich vor Ort Zeit nehmen, um in Gesprächen Bedürfnisse herauszuarbeiten und dann individuelle Lösungen zu entwickeln.

Und Idealisten wie Heinz Ehlers, die auch noch gute Tüftler sind, gibt es eben nicht an jeder Ecke. Aber vielleicht findet sich in der Präfektur Tokio ja ein „japanischer Heinz“, der das Projekt vorantreibt.